Stefan Salger ist nicht zu übersehen. Auf der Straße nicht, weil er mit 2,07 Metern Körpergröße
einfach auffällt, auf dem Spielfeld, weil er einen gewaltigen Zug zum Tor zeigt – und das aus dem rechten Rückraum heraus. Seit 2017 spielt der 21-Jährige beim TVB Stuttgart in der 1. Handballbundesliga. Mit der U21-Nationalmannschaft hat er seit 2016 bereits 28 Partien bestritten.
„Ich habe mein liebstes Hobby zum Beruf gemacht“, sagt Stefan, ganz ohne dabei abgehoben zu wirken. Denn er weiß, seine Zeit als Profisportler ist begrenzt.
Also genießt er jede Minute. Parallel zu seiner sportlichen Laufbahn jedoch baut er sich ein Berufsleben auf, das ihn nach Ende seiner ersten Karriere tragen wird.
Eine Geschichte von Jana Nolte.
Als Kind und Jugendlicher spielte Stefan Salger Fußball und schwamm. „Dass ich noch Handballprofi geworden bin, kam überraschend“, sagt er, „meine Jugendausbildung lief alles andere als klassisch“.
Einen Profiverein wie den TVB Stuttgart gab es in seiner Heimat im Allgäu nicht, also spielte er einfach aus Freude und mit viel Spaß in niedrigen Bezirksklassenmannschaften. Dabei überragte er seine Teamkollegen sowohl körperlich als auch spielerisch – er fiel auf.
Sein Vereinsleiter organisierte schließlich ein Probetraining mit den Rhein-Neckar-Löwen aus Kronau, einem der besten deutschen Handballclubs. Da war Stefan 17 – ein Alter, in dem bei Fußballern der Karriereweg schon lange beschritten ist. Bei ihm ging es jetzt erst los.
Er wechselte ins Förderzentrum der Handballjugend nach Kronau, sein Verein wurde der SG Kronau-Östringen, er spielte nun in der A-Jugend der Bundesliga.
Erinnert er sich an einen Punkt, an dem er entschied: Handball wird mein Beruf? „Das war der Schritt, nach Kronau ins Sportinternat zu wechseln. Zuhause auszuziehen, weg von den Freunden, täglich zu trainieren – die Komfortzone zu verlassen“, sagt Stefan.
Unbequem wurde es auch insofern, als er in Kronau plötzlich nicht mehr der Beste war, sondern mit Gleichaltrigen zu tun hatte, die seit Jahren zu Profihandballern aufgebaut wurden; die noch zur Schule gingen, ihm spielerisch aber überlegen waren.
„Ich wusste, ich muss mir jetzt so schnell wie möglich alles aneignen, was in der Jugend noch geht“, sagt Stefan. Er kriegte es hin.
„Jetzt hast du die Möglichkeit, jetzt gehst du den Schritt auch.“
Ohne eine riesige Portion Ehrgeiz wird niemand Profisportler, da ist Stefan keine Ausnahme. „Ich kann nicht gut verlieren, konnte ich noch nie. Ich habe zwei ältere Geschwister. Mit meinem Bruder messe ich mich immer, und wenn es beim Mensch-ärgere-dich- nicht ist. Dann ist bei uns in der Familie Krieg.“ Er lacht. Und so ist es eben auch beim Handball: Er will das Maximale rausholen.
Und was sagten die Eltern zu seinen Plänen? „Meinen Eltern war es wichtig, dass ich eine Berufsausbildung absolviere – und dann haben sie mich voll unterstützt.“ Nach dem Realschulabschluss begann Stefan eine Ausbildung zum Physiotherapeuten, die er während seiner Zeit im Sportinternat vollendete. „Denn man kann sich auf Handball nicht ewig verlassen. Wenn es gut läuft, spielt man bis Mitte 30. Danach muss man arbeiten gehen.“
Mittlerweile hat Stefan sogar sein Fachabitur nachgeholt und überlegt aktuell, welches Studium ihm liegen könnte. Eine solch klare Sicht auf die Karriere ist nicht selbstverständlich, obwohl die Jugendakademien den Handballnachwuchs sehr bewusst ermutigen, sich auf ein Berufsleben außerhalb des Spielfelds vorzubereiten.
Anders als beim Fußball lässt sich in der 3. oder 4. Handballliga nicht genug Geld verdienen, um davon zu leben.
Nach der Jugendausbildung in Kronau fing Stefan bei den „Roten Teufeln“ an, dem SG Leutershausen. 191 Tore machte er – trotzdem stieg die Mannschaft ab. Aber: Der TVB Stuttgart wurde auf ihn aufmerksam. Seit Sommer 2017 wohnt der 21-Jährige nun also in Remseck. Zweimal
am Tag trainiert er, dazu kommen Krafttraining, Strategiebesprechungen und Videoanalysen. In seiner freien Zeit kocht und grillt er, liest oder trifft seine Freundin, die in Köln an der Sporthochschule studiert.
Drei Umzüge in vier Jahren – wie lassen sich unter diesen Umständen Freundschaften pflegen? „Mit meinen Freunden aus dem Allgäu habe ich jetzt natürlich weniger zu tun. Das ist wie wenn nach dem Abitur alle fürs Studium auseinander gehen.“ Er trifft jedoch neue Leute – Menschen, deren Leben sich wie seines um den Handball dreht. Das schweißt zusammen.
Stefan Salgers Tipp für euch:
Ihm ist klar, dass er einige Unternehmungen Gleichaltriger verpasst: viel ausgehen, Praktika machen, ein Jahr im Ausland verbringen. Stefan Salger sieht es entspannt: „Wenn man sein Hobby zum Beruf machen kann, ist es das auf jeden Fall wert.“
INTERVIEW – R. Seiz und G. Schweikhardt
Die Persönlichkeit muß mitkommen
Günter Schweikardt, sportlicher Leiter, und Reiner Seiz, Jugendkoordinator beim TVB Stuttgart wissen, dass zu einer Karriere als Handballer mehr gehört als sportliches Talent.
Herr Schweikardt, was muss jemand mitbringen, um eine Chance als Profi-Handballer zu haben?
G. Schweikardt: Ein bestimmtes sportliches Talent ist die Grundvoraussetzung. Aber dann kommen auch schon die anderen Attribute, die mindestens genau so wichtig sind, zum Beispiel Zielstrebigkeit und Leistungsbereitschaft.
Was ähnelt an der Handballausbildung bei Ihnen jeder x-beliebigen anderen Ausbildung und was ist einzigartig?
R. Seiz: Handball ist ein Mannschaftssport. Ohne Teamfähigkeit geht’s bei uns nicht. In der normalen Ausbildung konzentriere ich mich auf meinen Beruf und mein Thema. Aber in der Mannschaft muss das Zusammenspiel klappen.
Wie bereiten Sie die Jugendlichen darauf vor, dass Handballspielen kein Beruf fürs Leben ist?
G. Schweikardt: Das thematisieren wir ganz früh. Wir pflegen Kooperationen mit einigen Schulen in Waiblingen und in Stuttgart. Stellen wir bei einem 14-Jährigen fest, dass aus ihm handballerisch was werden könnte, erhält er in einer Fördergruppe zusätzliche Betreuung, um sein schulisches Pensum trotz der vielen Handballtrainings zu schaffen. Denn je mehr Trainingseinheiten ein Spieler absolviert, desto weniger Zeit hat er für die Schule. Das oberste Ziel ist: das Lernziel der Schule zu erreichen. Nur so können die Talente einen Beruf ergreifen oder studieren – nach ihrer sportlichen Karriere. Manche Jugendliche brauchen diese Unterstützung, andere wissen genau, was sie wollen. Die braucht man weniger anzuschubsen.
Gut zu wissen!